Die drei Vögelchen KHM 96 (1857)
  Märchentyp AT: 707
  
  Es ist wohl schon tausend Jahre her und mehr, da waren hier im Lande lauter kleine
  Könige. Da hat auch einer auf dem Keuterberge gewohnt, und der ging so gern auf die Jagd.
  Als er nun wieder einmal mit seinen Jägern aus dem Schlosse herauszog, hüteten unten am
  Berge drei Mädchen ihre Kühe, und wie sie den König mit den vielen Leuten sahen, da
  rief die älteste den anderen beiden Mädchen zu und wies auf den König: "Helo!
  Helo! Wenn ich den nicht kriege, so will ich keinen." Da antwortete die zweite auf
  der anderen Seite vom Berge und wies auf den, der dem König zur rechten Hand ging:
  "Helo! Helo! Wenn ich den nicht kriege, so will ich keinen." Da rief die
  jüngste und wies auf den, der linker Hand ging: "Helo! Helo! Wenn ich den nicht
  kriege, so will ich keinen." Das waren aber die beiden Minister. Das alles hörte der
  König, und als er von der Jagd heimgekommen war, liess er die drei Mädchen zu sich
  kommen und fragte sie, was sie da gestern am Berge gesagt hätten. Das wollten sie nun
  nicht sagen; der König aber fragte die älteste, ob sie ihn wohl zum Manne haben wollte?
  Da sagte sie: Ja; und ihre beiden Schwestern fragten die beiden Minister; denn sie waren
  alle drei schön und klar von Angesicht, besonders die Königin hatte Haare wie Flachs.
  Die beiden Schwestern aber bekamen keine Kinder, und als der König einmal verreisen
  musste, liess er sie zur Königin kommen, um sie aufzumuntern, denn sie war gerade guter
  Hoffnung. Sie bekam einen kleinen Jungen, der brachte einen ganz roten Stern mit auf die
  Welt. Da sagten die beiden Schwestern eine zur andern, sie wollten den hübschen Jungen
  ins Wasser werfen. Wie sie ihn nun hineingeworfen hatten - ich glaube es ist die Weser
  gewesen da flog ein Vögelchen in die Höhe und sang:
  "Tom Daude bereit, Up wietern Bescheid, Tom Lilienstrus: Wacker Junge, bist
  du's?"
  Als das die beiden hörten, kriegten sie grosse Angst und machten, dass sie fortkamen.
  Wie der König nach Hause kam, sagten sie ihm, die Königin hätte einen Hund geboren. Da
  sagte der König: "Was Gott tut, das ist wohlgetan."
  Es wohnte aber ein Fischer am Wasser, der fischte den kleinen Jungen wieder heraus, als
  er noch gerade lebendig war, und da seine Frau keine Kinder hatte, fütterte sie ihn auf.
  Nach einem Jahr war der König wieder verreist; da bekam die Königin wieder einen Jungen;
  den nahmen die beiden falschen Schwestern und warfen ihn auch ins Wasser. Da flog das
  Vöglein wieder in die Höhe und sang:
  "Tom Daude bereit, Up wietern Bescheid, Tom Lilienstrus: Wacker Junge, bist
  du's?"
  Und wie der König nach Hause kam, sagten sie ihm, die Königin hätte wieder einen
  Hund bekommen, und er sagte wieder: "Was Gott tut, das ist wohlgetan." Aber der
  Fischer zog diesen auch aus dem Wasser und fütterte ihn auf.
  Da verreiste der König wieder, und die Königin bekam ein kleines Mädchen; das warfen
  die schlechten Schwestern auch ins Wasser. Da flog das Vögelchen wieder in die Höhe und
  sang:
  "Tom Daude bereit, Up wietem Bescheid, Tom Lilienstrus: Wacker Mäken, bist
  du's?"
  Und wie der König nach Hause kam, sagten zu ihm, die Königin hätte eine Katze
  bekommen. Da wurde der König böse und liess seine Frau ins Gefängnis werfen, und darin
  sass sie lange Jahre.
  Die Kinder waren unterdessen herangewachsen; da ging der älteste einmal mit andern
  Jungen hinaus, um zu fischen. Da wollten ihn aber die andern Jungen nicht um sich haben
  und sagten: "Du Findling, geh du deiner Wege!" Da wurde er ganz betrübt und
  fragte den alten Fischer, ob das wahr sei? Der erzählte ihm, dass er einmal gefischt
  hätte, und er hätte ihn aus dem Wasser gezogen. Da sagte der Junge, er wolle fort und
  seinen Vater suchen. Der Fischer bat ihn, er möchte doch bleiben; aber er liess sich gar
  nicht halten, bis es der Fischer zuletzt zugab. Da begab er sich auf den Weg und ging
  mehrere Tage hintereinander. Endlich kam er zu einem allmächtig grossen Wasser; davor
  stand eine alte Frau und fischte. "Guten Tag, Mutter", sagte der Junge.
  "Grossen Dank", sagte die alte Frau. "Du musst da wohl lange fischen, ehe
  du einen Fisch fängst?" - "Und du musst wohl lange suchen, ehe du deinen Vater
  findest. Wie willst du denn da übers Wasser kommen?" sagte die Frau. "Ja, das
  mag Gott wissen." Da nahm ihn die alte Frau auf den Rücken und trug ihn hindurch,
  und er suchte lange Zeit und konnte seinen Vater nicht finden.
  Als nun ein Jahr vorüber war, da zog der zweite aus und wollte seinen Bruder suchen.
  Er kam an das Wasser, und da ging es ihm ebenso wie seinem Bruder. Nun war nur noch die
  Tochter allein zu Haus; die jammerte so sehr nach ihren Brüdern, dass sie zuletzt auch
  den Fischer bat, er möchte sie ziehen lassen, sie wollte ihre Brüder suchen. Da kam sie
  auch zu dem grossen Wasser; da sagte sie zu der alten Frau: "Guten Tag, Mutter."
  "Grossen Dank!" sagte die Frau. - "Gott helfe Euch bei Eurem Fischen!"
  Als die alte Frau das hörte, wurde sie ganz freundlich trug sie übers Wasser und
  gab ihr eine Rute und sagte zu ihr: "Nun geh nur immer auf diesem Wege weiter, meine
  Tochter, und wenn du bei einem grossen schwarzen Hunde vorbeikommst, so musst du still und
  dreist, und ohne zu lachen und ohne ihn anzusehen, vorbeigehn. Dann kommst du an ein
  grosses offenes Schloss; auf der Schwelle musst du die Rute fallen lassen und stracks
  durch das Schloss an der anderen Seite wieder herausgehen. Da ist ein alter Brunnen; aus
  dem ist ein grosser Baum gewachsen, daran hängt ein Vogel im Bauer, den nimm auf. Dann
  nimm noch ein Glas Wasser aus dem Brunnen und geh mit diesen beiden den selben Weg wieder
  zurück. Von der Schwelle nimm auch wieder die Rute mit, und wenn du dann wieder bei dem
  Hund vorbeikommst, dann schlag ihm ins Gesicht; aber sieh zu, dass du ihn triffst, und
  dann komm nur wieder zu mir zurück." Da fand sie alles geradeso, wie die Frau es
  gesagt hatte, und auf dem Rückwege fand sie die beiden Brüder, die die halbe Welt nach
  einander durchsucht hatten. Sie gingen zusammen bis dahin, wo der schwarze Hund am Wege
  lag. Den schlug sie ins Gesicht; da wurde er ein schöner Prinz, und er ging mit ihnen bis
  zum Wasser. Da stand noch die alte Frau, die freute sich sehr, dass sie alle wieder da
  waren, und trug sie alle übers Wasser, und dann ging sie auch weg, denn nun war sie
  erlöst. Die andern aber gingen alle zu dem alten Fischer, und alle waren froh, dass sie
  sich wieder gefunden hatten; den Vogel aber hängten sie an die Wand.
  Den zweiten Sohn aber hielt es nicht zu Hause; er nahm einen Flitzbogen und ging auf
  die Jagd. Als er müde war, nahm er seine Flöte und blies sich ein Stückchen. Der König
  aber war auch auf der Jagd und hörte es. Da ging er zu ihm hin, und wie er den Jungen
  traf, da sagte er: "Wer hat dir erlaubt, hier zu jagen?" - "Oh,
  niemand." - "Wem gehörst du denn?" - "Ich bin dem Fischer sein
  Sohn." - "Der hat ja keine Kinder." - "Wenn du es nicht glauben
  willst, so komm mit. Das tat der König und fragte den Fischer. Der erzählte ihm alles;
  und das Vögelchen an der Wand fing an zu singen:
  De Möhme sitt allein, Wol in dat Kerkerlein. O Künig, edles Blod, Dat sind dine
  Kinner god. De falsken Süstem beide, De dehen de Kinnerkes Leide, Wohl in des Waters
  Grund, Wo se de Fisker fund. Die Mutter sitzt allein, Wohl in dem Kerkerlein. O König,
  edles Blut, Dies sind deine Kinder gut. Die falschen Schwestern beide, Die taten den
  Kindern leid an, Wohl in des Wassers Grund, Wo sie der Fischer fand.
  Da erschraken sie alle, und der König nahm den Vogel, den Fischer und die drei Kinder
  mit sich aufs Schloss und liess das Gefängnis aufschliessen und nahm seine Frau wieder
  heraus. Die war aber ganz krank und elend geworden. Da gab ihr die Tochter von dem Wasser
  aus dem Brunnen zu trinken; da wurde sie wieder frisch und gesund. Die beiden falschen
  Schwestern wurden aber verbrannt, und die Tochter freite den Prinzen.
  
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