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Die weisse Schlange 673

Märchentyp AT: 673
Grimm KHM: Die weisse Schlange 17


Ein König lässt sich jeden Tag eine verdeckte Tafel bringen und isst ganz alleine davon. Ein Diener ist neugierig geworden, nimmt die Tafel mit zu sich und entdeckt darunter eine weisse Schlange. Er isst von ihrem Fleisch und bemerkt, dass er die Sprache der Tiere versteht. Gerade zur gleichen Zeit kommt der Ring der Königin abhanden, und der Diener wird verdächtigt. Mit Hilfe seiner Tiersprachenkenntnis findet er den Ring und wird beschenkt. Er nimmt vom König Abschied und erlangt die Dankbarkeit von drei Tieren (Ameise, Fisch, Raben etc.). In einem Königreich soll nun derjenige die Hand der Prinzessin erhalten, der schwierige Brautaufgaben zu lösen vermag: Getreidekörner lesen, einen Ring vom Meeresgrund holen oder einen Apfel vom Baum des Lebens bringen. Alle diese Aufgaben erfüllt der Mann dank der hilfreichen Tiere und gewinnt die Prinzessin.


Anmerkung

Diese Sage ist interessant, weil sie der Siegfriedsage und der Sage Saxos (in seinem 5. Buch) von Ericus und Rollerus nahesteht. Meistens schenkt die Schlange die Gabe, die Sprache der Tiere zu verstehen (vgl. 670) oder zu heilen. Diese oder ähnliche Vorstellungen sind in der griechischen Mythologie an Melampus geknüpft, bei den Arabern an Khizr und in der hellenistisch-römischen Literatur an Apollonius von Tyana.


Literatur

Eliade, M.: Schamanismus und archaische Ekstasetechnik. Frankfurt 1975.
Hellbusch, S. u.a.: Tier und Totem. Naturverbundenheit in archaischen Kulturen. Bern 1998.
Löffler, I.: Die Melampodie. Meisenheim 1963.
Lüthi, M.: Die weisse Schlange. In: Süddeutsche Zeitung. München 1967, Nr. 102.
Propp, V.J.: Die historischen Wurzeln des Zaubermärchens. München 1987.
Röhrich, L.: Märchen und Wirklichkeit. Wiesbaden 1974.


Märchen

>> Das grosse Buch der Zaubermärchen


Hinweise

Durch den Genuss einer weissen Schlange erlernt man die Tiersprache. Gleichbedeutend damit ist der Genuss des Drachenherzens für Sigurd in der Edda. In einem serbischen Märchen lehrt eine dankbare Schlange den Jüngling die Tiersprache, indem sie ihm in den Mund spuckt, in einer Erzählung der deutschen Gesta Romanorum steckt eine Natter ihrem Retter eine Wurzel in den Mund. Dem griechischen Seher Melampus vergelten die Schlangen seine Wohltat, indem sie ihm die Ohren auslecken, worauf er die Stimmen der Vögel versteht; gleiches wird von Kassandra berichtet. Im griechischen Märchen bei Hahn verschluckt der Drache den Königssohn, um ihn die Tiersprache zu lehren, und speit ihn dann wieder aus. Nach irischem, mährischem und armenischem Volksglauben verleiht der Genuss von vierblätterigem Klee und andrem Kraut diese Kenntnis, ein Kuchen oder Zaubertrank. In der grossrussischen Sage leckt Stenka Rasin an dem Stein, den er im Leib des von ihm erlegten Ungeheuers Volkodir gefunden, und erfährt alles, was in der Welt vorgeht. Die Fähigkeit, die Tiere zu verstehen, kann auch wieder verloren gehen; in bretonischen Sagen bläst die Hexe dem Mann, der von ihrer Schlangenspeise gekostet hat, in den Mund; in kroatischen schabt sie ihm die Krötentunke von der Zuge; in kleinrussischen spuckt der Herr dem vorwitzigen Diener in den Mund; in weissrussischen erschlägt er ihn sogar. Oder er reicht ihm einen Vergessenheitstrunk aus Beifuss, bekreuzt oder bestreicht ihn mit einem Zaubermittel.

Wer seiner Frau von seiner Kunst etwas sagt, vergisst zufolge dem kleinrussischen Märchen die Hälfte davon; im irischen wird der Held, der dasselbe tut, von der Frau in einen Raben, ein Pferd und andre Tiere verwandelt.

Dass die Vögel höhere Weisheit besitzen und an den Geschicken der Menschen mahnend, ratend, vorhersagend anteilnehmen, ist ein alter und verbreiteter Glaube. Versteht der Mensch ihr "Latein" nicht, so liegt die Schuld an ihm.

Der zweite Teil des Märchens hat gleichen Inhalt mit der Bienenkönigin (KHM 62) und dem Meerhäschen (KHM 191): drei Tiere, denen der gutherzige Jüngling Wohltaten erweist, helfen ihm drei Aufgaben lösen (in KHM 191 verstecken sie ihn dreimal), wodurch er eine Königstochter zur Gattin gewinnt. In dem Märchen von Ferenand getrü und Ferenand ungetrü (KHM 126) erringt der Held die Schöne mit Hilfe der dankbaren Tiere nicht für sich, sondern im Auftrag seines Königs, doch gewinnt die Jungfrau ihn selber lieb und reicht ihm nach Beseitigung des Königs ihre Hand. In andern Erzählungen helfen dankbare Tiere dem Helden die verborgene Seele eines Ungeheuers aufsuchen und vernichten, wodurch eine Prinzessin befreit wird, oder bringen ihm den geraubten Wunschring zurück oder bieten sich ihm als Gefährten auf der Brautfahrt an. Auch das Pferd, der Fuchs und der Kater erweisen sich als gute Ratgeber des Helden.

Beide Teile des Märchens erscheinen auch in einer kroatischen Fassung verbunden. Der Diener eines Arztes kostet von einer Schlange, die er für jenen kochen soll, und weiss nun ebensoviel wie er; da er gegen Fliegen, Ameisen und Fische barmherzig ist, helfen ihm diese Tiere bei den Aufgaben, die sein Herr auf der Brautfahrt lösen soll, z.B. die Braut unter zehn Schwestern herauszufinden.


Variantenverzeichnis

>> Märchen-Suchdienst

Die weisse Schlange. Grimm/KHM 17
Die drei Sprachen. Derungs/SdZ I


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