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Die Gänsehirtin 870A

Märchentyp AT: 870A; cf. 899E
Grimm KHM:


Eine Gänsehirtin sitzt am Weg des Prinzen, als er auszieht, um eine Braut zu freien, und sagt scherzend und doch ernsthaft, dass sie sich mit ihm verheiraten werde. Der ungläubige Prinz kommt mit drei Prinzessinnen (einer Prinzessin) heim, die alle von der Gänsehirtin vor einem weissagenden Stein im Besitz des Prinzen gewarnt werden, der ihre unkeusche Vergangenheit offenbart. So in Not und verunsichert, lassen die Prinzessinnen die Gänsehirtin der Reihe nach an ihrer Stelle über den orakelnden Stein gehen, der dabei ein zufriedenstellendes Urteil abgibt. Die Gänsehirtin liegt dann stellvertretend in der Hochzeitsnacht beim Prinzen, was die Bräute jeweils einwilligen. Als sie am Morgen jedoch, nachdem in der Nacht wieder getauscht wurde, selbst gezwungen werden, über den Stein zu gehen, wird ihr früherer Lebenswandel und ihre Mutterschaft offenbar und sie werden nach Hause geschickt. Der Prinz begreift den Zusammenhang dank seines allwissenden Steines und heiratet die Gänsehirtin, oder er erkennt die wahre Braut der Hochzeitsnacht an einer Liebesgabe (Ring etc.), die er ihr in der Vermählungsnacht gegeben hat.


Anmerkung

Bedeutsam ist die aktive Rolle der "Gänsehirtin", die sicher einmal mehr war als eine arme Person. Sie ist auch diejenige, die sich den Prinzen wählt, so dass wir ethnologisch von einer Gattenselbstwahl der Frau sprechen können. Scheint der Prinz eng mit dem magischen Stein verbunden zu sein, so ist es sicher auch die Gänsehirtin, welche die Zauberwirkung des Steines gut kennt. Ein sprechender, ratender und orakelnder Stein war in der Landschaftsmythologie Europas keine Seltenheit. Dies bezeugen z.B. Steine in Island, die sich auf dem Hof der Sippe befanden und regelmässig von den Menschen besucht und befragt wurden, worauf sie dann beratend wirkten. Solche Steine nannte man "Muttersteine" oder "Steine des Wohlstandes". Eine weitere Funktion des Steines war, als Krönungsstein oder Thron zu dienen, was für den Prinzen ebenfalls in Frage kommt. Oder er war Brautstein (Breiter oder Heisser Stein), auf dem die Braut sass und an dem sie und der Bräutigam heirateten. Nicht ganz logisch ist die Jungfräulichkeits-Ideologie unseres Märchens, da die Gänsehirtin bei der zweiten und dritten Steinprobe - nach dem Unterschieben in der Hochzeitsnacht - wahrscheinlich nicht mehr Jungfrau im patriarchalen Sinn war. Sie ist daher als eine jüngere Motivierung in unser Märchen eingeflossen.


Literatur

Derungs, K.: Brautstein und Ahnenstätte. In: Mythologische Landschaft Deutschland. Hrsg. von Heide Göttner-Abendroth und Kurt Derungs. Bern 1999.
Liebers, C.: Neolithische Megalithgräber in Volksglauben und Volksleben. Frankfurt, Bern, New York 1986.
Meier, J.: Der Brautstein. Frauen, Steine und Hochzeitsbräuche. Bern 1996.

Märchen und Sagen vom Brautstein. In: John Meier: Der Brautstein. Bern 1996.
Thompson, S.: The Folktale. New York 1951.


Märchen

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Hinweise

 


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Klein-Mette. Meier/Brautstein


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