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Griseldis 887

Märchentyp AT: 887; cf. 712, 881, 900
Grimm KHM:


Ein König heiratet ein armes Mädchen, das verspricht, ihm in allem gehorsam zu sein. Als Probe nimmt ihr der König ein Kind nach dem anderen weg und tut, als ob er es töte, und schliesslich gibt er sich den Anschein, als ob er eine neue Gemahlin nehmen wolle. Da sie alles hinnimmt, ohne zu klagen, bekommt sie die Kinder wieder und nimmt den der neuen Gemahlin zugedachten Platz ein. Die Kinder sind zu dieser Zeit bereits erwachsen, und es ist ihre eigene Tochter, die die Rolle der in Aussicht genommenen Braut spielt.


Anmerkung

Man hat diesem Märchen einen historischen Hintergrund geben wollen, indem man es nach Frankreich ins Jahr 1003 verlegte, ohne jedoch Beweise hierfür beibringen zu können. Das Märchen kann auch nicht mit Sicherheit bei Marie de France in ihrem Lei del Freisne, das dem Volkslied Schön-Anna nähersteht, belegt werden. In beiden ist die geduldige Heldin eine Schwester der in Aussicht genommenen Braut, die ihr den Platz an der Seite des Mannes einräumt. Dagegen ist die Ähnlichkeit mit dem dänischen Volkslied Den taalmodige Kvinde bemerkenswert. Besonders nahe kommen sich die beiden Darstellungen im Schluss mit der Tochter als der vermeintlichen Braut und der Erhöhung der Heldin. Grundtvig verlegt dieses Lied spätestens ins 13. Jahrhundert. Den Ursprung des Märchens haben wir jedoch in den Mittelmeerländern zu suchen. Sowohl Boccaccio wie sein Freund Petrarca haben es gehört und benutzt (1353 bzw. 1374). Es wird auch von Juan Manuel (gest. 1347) in seinem El conde Lucanor wiedergegeben. Aber schon im 12. Jahrhundert finden wir in einer nahestehenden hebräischen Erzählung (Midrasch, Bamidbar, Kap. 23, Fol. 227a) eine Redewendung, die schlagend an die Worte erinnert, die Boccaccio bei einer entsprechenden Gelegenheit in der Erzählung verwendet. Das Märchen wurde bereits 1395 in Frankreich dramatisiert und war dann in einer Unzahl von Volksbüchern und Volksdramen über ganz Europa zu finden.

Sehr bemerkenswert ist die Hinzufügung, die wir in einer isländischen Variante des Märchens finden. Griseldis muss bei der angeblichen Hochzeit das Licht für die Neuvermählten halten und lässt es so weit herabbrennen, bis es ihre Hand verbrennt. Die Erzählung steht Saxos Darstellung von Ottar und Syritha näher als die entsprechenden Motive in der Mehrzahl der Varianten des Amor- und Psychemärchens (vgl. 425ABC). Irgendwelche Schlüsse hinsichtlich des Alters des Märchens wagen wir jedoch nicht zu ziehen. Diesem Zug liegt nämlich ein noch in unserer Zeit in der Bretagne lebendiger Volksbrauch zugrunde, demzufolge die Brautführer nicht eher das Bett des Brautpaares verlassen, als die von ihnen gehaltenen Lichter ihre Finger verbrennen. Möglicherweise hat gerade auf Grund dieses gemeinsamen Zuges das Amor- und Psyche-Märchen das Motiv des Wegnehmens der Kinder von der Mutter-Heldin vom Griseldis-Märchen entlehnt. Dieses Motiv finden wir nämlich in dem sonst so verbreiteten Amor- und Psychemärchen nur im keltischen und skandinavischen (einschliesslich färöerischen und isländischen) Sprachgebiet (siehe 425AC).


Literatur

Dawkins, R.M.: The Story of Griselda. In: Folklore 60, 1949. p. 363-374.
Laserstein, K.: Der Griseldisstoff in der Weltlitteratur. Weimar 1926.
Thompson, S.: The Folktale. New York 1951.


Märchen

>> Das grosse Buch der Zaubermärchen


Hinweise

 


Variantenverzeichnis

>> Märchen-Suchdienst


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