König
  Drosselbart 900
  Märchentyp AT: 900
  Grimm KHM: König Drosselbart 52
  
  
  Eine Prinzessin oder
  eine junge Frau verschmäht und verhöhnt alle ihre
  Freier, manche sogar mit Spottnamen (Drosselbart). Einer
  der abgewiesenen Freier beschliesst, sich an ihr zu
  rächen. Er verkleidet sich als Bettler, Gärtner, Knecht
  etc. und erkauft sich mit verschiedenen Kostbarkeiten
  einzelne Nächte bei ihr. Zuweilen wird die Prinzessin
  schwanger, und sie fliehen zusammen. Oder er führt sie in
  seine vorgetäuschte ärmliche Behausung, wo er sie
  erniedrigt, so z.B. stellt er sie in seiner wirklichen
  Gestalt vor der Hofgesellschaft als Diebin bloss.
  Schliesslich gibt er sich als ehemaliger, abgewiesener
  Freier zu erkennen. Sie bereut ihren Stolz und sie
  heiraten.
  
  
  Anmerkung
  In einem lateinischen, aus Frankreich stammenden
  Gedicht aus der Zeit um 1300 klingt der Schluss wie folgt:
  Der abgewiesene Prinz Clarus kommt hier verkleidet, aber
  doch in Gestalt eines Prinzen zurück und kauft sich um
  seine prächtigen Zelte drei Nächte bei der Prinzessin.
  Er gewinnt sie, und die Hochzeit findet statt, aber nun
  folgt die Zeit der Erprobung, während welcher sie vom
  verkleideten Clarus verlassen und gezwungen wird, sich ihr
  Brot zu erbetteln. Gleichzeitig wird sie von einer
  zufällig vorbeigehenden Person beleidigt, und in dieser
  erkennt sie den Prinzen. Etwa gleich lautet eine
  italienische Version bei Basile im Pentamerone IV,10 (vgl.
  II,1). Das Märchen dürfte vor 1260 im romanischen
  Sprachgebiet mit orientalischen Wurzeln entstanden sein,
  obwohl auch eine Version bei Konrad von Würzburg im 13.
  Jahrhundert bekannt ist.
  
  Literatur
  Baumgardt, U.: König Drosselbart und C.G. Jungs
  Frauenbild. Olten 1987.
  Bluhm, L.: Prolegomena zu einer
  historisch-kritischen Ausgabe der Kinder- und
  Hausmärchen. Mit einer textgenetischen Betrachtung des
  "König Drosselbart". In: editio 3 (1989)
  177-192.
  Derungs, K.: Der psychologische Mythos. Frauen,
  Märchen und Sexismus. Bern 1996.
  Köhler-Zülch, I.: König Drosselbart. In: EM 8,
  1996. p. 148 ff.
  Philippson, E.: Der Märchentypus von König Drosselbart.
  Greifswald 1923.
  Schenda, R. (Hg.): Das Märchen der Märchen. Das
  Pentamerone. Giambattista Basile. München 2000, p. 610.
  
  Märchen
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  Zaubermärchen
  
  Hinweise
  Eine Erzählung hat einen andern Eingang. Nichts davon,
  dass der König die stolze Tochter zwingen will, den
  ersten besten zu heiraten. Es kommt aber ein schöner
  Spielmann unter das Fenster des Königs, den er
  heraufrufen lässt; sein Gesang gefällt ihm und seiner
  Tochter. Der Spielmann bleibt längere Zeit am Hofe und
  wohnt der schönen Jungfrau gegenüber, so dass er in ihre
  Fenster und sie in seine blicken kann. Sie sieht einmal,
  dass er mit seinen Fingern ein goldenes Rädchen anrührt,
  worauf ein schöner Klang daraus geht. Als er nun wieder
  kommt, bittet sie ihn, dass goldenen Rädchen ihr zu
  bringen; er muss ihr zeigen, wie es gespielt wird. Sie
  lernt es und verlangt von ihrem Vater auch ein solches
  Instrument; alle Goldschmiede des reiches werden zusammen
  berufen, aber keiner ist imstand es zu verfertigen. Da ist
  die Königstochter sehr traurig, und wie der Spielmann das
  bemerkt, sagt er, wenn sie ihn zu heiraten Lust haben,
  wolle er ihr das künstliche Werk geben; aber sie spricht
  voll Hochmut nein. Über eine Zeit sieht sie aus dem
  Fenster, wie der Spielmann ein Häspelchen dreht, wobei
  die herrlichsten Töne klingen. Sie will es sehen und
  verlangt ein ähnliches; aber die Goldschmiede können
  noch weniger ein so kunstreiches Werk hervorbringen. Nun
  bietet ihr der schöne Spielmann Rädchen und Häspelchen
  an, wenn sie ihn heiraten wolle, und da ihre Lust zu
  beiden allzugross ist, so sagt sie ja. Bald aber kommt die
  Reihe, und der Stolz lässt ihr keine Ruhe. Sie will ihr
  Wort zurücknehmen, doch der König zwingt sie, und die
  Hochzeit wird gefeiert. Nun führt sie der Spielmann in
  das armselige Waldhaus; das übrige stimmt mit unserm
  Märchen und ergänzt es. Auf dem Ball, als der Topf mit
  dem Essen zur Erde fällt, sinkt sie vor Schrecken
  ohnmächtig nieder. Beim Erwachen liegt sie in einem
  prächtigen Bett, und der schöne Spielmann ist ein
  König.
  Eine Erzählung hat folgendes Eigentümliche: Die
  Königstochter lässt bekannt machen, sie solle dem ihre
  Hand geben, der erraten könne, von welchem Tier und
  welcher Gattung eine ohne Kopf und Füsse angespannte Haut
  sei; sie war aber von einer Wölfin und erfährt das
  Geheimnis, rät mit Fleiss fehl und kommt dann als Bettler
  verkleidet wieder, um recht zu raten.
  Das Märchen lässt sich bis in die höfische Epik des
  Mittelalters zurückverfolgen. Um 1300 existierte in
  Frankreich ein heute verlorenes lateinisches Gedicht, auf
  dem die isländische vom Bischof Jon Halldorsson (gest.
  1339) verfasste Clarussaga beruht. Um Serena, die schöne
  Tochter des Frankenkönigs Alexander, zu gewinnen, zieht
  Clarus, der Sohn des Sachsenkaisers Tiburtius, aus; er
  wird geziemend empfangen und von Serena, die mit sechzig
  Jungfrauen in einem Turm wohnt, zur Tafel geladen, aber
  wie er mit dem Ei, das jene ihm reicht, sein Gewand
  befleckt, als Bauerntölpel hinausgewiesen. Beschämt
  segelt er nach Hause und kehrt unter anderm Namen,
  begleitet von seinem klugen Lehrmeister Perus zurück. Die
  prächtigen drei Zelte, die Perus angefertigt hat, erregen
  in Serena solches Verlangen, dass sie, als Clarus für
  jedes eine Nacht in ihrer Kammer fordert, ihm diesen Preis
  bewilligt. Doch schlummert er zweimal durch das
  Schlafmittel, das dem Nachttrunk beigemischt ist, sofort
  ein; erst als Perus von der Dienerin Thekla das Geheimnis
  des Bechers erfährt, glückt es Clarus in der dritten
  Nacht wachzubleiben. Nun willigt Serena auch ein, seine
  Frau zu werden; die Hochzeit wird mit aller Pracht
  gehalten, und sie fahren miteinander fort über See. Als
  aber Serena eines Morgens erwacht, ist das herrliche Zelt
  verschwunden, und statt des Prinzen Eskilvard sieht sie
  einen hässlichen Kerl, einen Spielmann, neben sich, der
  sie hart behandelt und sie zwingt, da er sich angeblich
  ein Bein gebrochen hat, ihn auf ihrem Rücken zu einem
  Wirtshaus zu tragen und an der Kirchentür für sie beide
  zu betteln. In dieser Erniedrigung erblickt sie den einst
  verschmähten Prinzen Clarus, der mit stattlichem Gefolge
  an ihr vorübergeht und ihr einen Backenstreich gibt. Das
  geschieht dreimal, dann aber offenbart sich Clarus als ihr
  Gatte Eskilvard und der Spielmann als Meister Perus, der
  ihre Gespielin Thekla zur Frau bekommt.
  In einer italienischen Novelle des 1556 verstorbenen
  Luigi Alamanni verspottet die Tochter des Grafen von
  Toulouse ihren Freier, den Grafen von Barcelona, weil er
  beim Mahle einen ihm entfallenden Granatkern vom Boden
  aufhebt; aber als Juwelenhändler verkleidet, gewinnt er
  durch einen Diamanten ihre Gunst, bis sie, um ihre Schande
  zu verbergen, mit ihm entfliehen muss. Als Krämerfrau
  erleidet die Stolze verschiedene Demütigungen, da sie
  Brot und Perlen auf Geheiss ihres Mannes stehlen muss und
  dabei ertappt wird. Endlich aber begrüsst der Graf sie
  bei einem Fest öffentlich als seine Gemahlin, und ihr
  Leid hat ein Ende.
  Bei Basile 10, Nr. 4 "La soperbia casticata"
  verkleidet sich der von der hoffärtigen Prinzessin
  Cintiella abgewiesene König von Bello paese als Gärtner
  und erkauft für einen kostbaren Mantel, Rock und Mieder
  die Erlaubnis, bei ihr zu schlafen. Wie bei Alamanni muss
  Cintiella mit dem Gärtner fliehen, wird beim Stehlen von
  Brot und Kleiderstoffen erwischt, aber erst nach der
  Geburt von Zwillingen zur Königin erhoben.
  In den neueren Aufzeichnungen des Märchens wird die
  Gewinnung der hochmütigen Schönen (A) bisweilen anders
  motiviert; statt durch die Kleinode erringt der als Koch,
  Gärtner, Soldat, Bettler usw. verkleidete Liebhaber ihre
  Gunst durch sein Harfenspiel, durch Aufgeben eines
  Rätsels (wie in KHM 22), durch Versteck in einem goldenen
  Hirsch (Zeitschrift für Volkskunde 6, 166 zu Gonzenbach
  Nr. 68 und 18, 69) oder mit Hilfe wunderbarer Gefährten
  (wie in KHM 71) oder weil der Vater sie dazu zwingt. Ihre
  Demütigung (B) erfolgt öfter dadurch, dass sie als
  Verkäuferin von Getränken oder von Tongeschirr durch
  anscheinend betrunkene Leute Verlust erleidet, aber den
  Schluss bildet meist die Szene im Schloss, wo sie als
  Aufwärterin Speisen in einem Töpfchen bei Seite schafft,
  vom Prinzen zum Tanz aufgefordert wird und beschämt ihren
  Diebstahl offenkundig werden sieht. Endlich (C) lässt ihr
  Gatte die Maske fallen und erhebt die genügend Geprüfte
  zur Freude und Herrlichkeit.
  Heanzisch "König Spreizenbart" (Prinz als
  Maurer, Glockenspiel); Westfalen "Die drei
  Bälle" (Schweinehirt) und "Die drei
  Bünde" (die wunderbaren Gefährten wie in KHM 71);
  Pröhle "Die Prinzessin von Portugal und der Prinz
  von England" (drei Glocken); Pommern "Vom
  Königssohn, der noch zu jung zum Heiraten war"
  (Prinz als Küchenjunge, Harfenspiel); Ostpreussen
  "Der Prinz mit dem goldenen Hirsch" (verbirgt
  sich als Soldat darin); Luxemburg "Die Prinzessin mit
  den blechernen Taschen".
  Isländisch "Die hochmütige Königin" (drei
  Zelte wie in der Clarussaga; auch das Erwachen der
  Prinzessin an der Seite eines hässlichen Alten, den sie
  tragen muss, als er sich ein Bein bricht, wie dort).
  Dagegen erkauft bei "Lusahöttur" der Prinz drei
  Nächte bei der Prinzessin, nicht um sie zu beschämen,
  sondern um von seinem Lausgewand erlöst zu werden.
  Griechisch bei Hahn Nr. 113 "Vom klugen Sohne und den
  drei Karfunkeln". Doch wird hier nicht die Jungfrau
  für ihren Hochmut gestraft, sondern ihr Vater, der sie
  dem Jüngling zuwider seinem früheren Gelöbnis nicht zur
  Frau geben will. Slovakisch "König Rotbart und die
  goldhaarige Prinzessin" (zuerst der aus Lausleder
  verfertigte Schuh).
  Sehr verblasst und dem höfischen Zeremoniell der
  vornehmen orientalischen Gesellschaft angepasst ist die
  Demütigung der spröden Prinzessin in einer Erzählung
  der arabischen 1001 Nacht von Ins ibn Qais. Mirjam, die
  Tochter des Kalifen von Bagdad, weist die Werbung des
  Prinzen Abbas von Jemen zurück, wird aber von Reue
  ergriffen, als sie von seinen Kriegstaten und seiner
  Abkunft hört; ihre Liebesbotschaften werden jedoch von
  ihm abgelehnt, bis er ihren Entschluss zu sterben
  vernimmt. Dagegen wird in einem türkischen Märchen ein
  Bräutigam, "der schöne Joseph", auf ähnliche
  Weise für seinen Hochmut und Stolz bestraft.
  
  Variantenverzeichnis
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  Vom Königssohn, der noch zu jung
  zum Heiraten sein sollte. Jahn/Deutschland 12
  König Drosselbart. Grimm/KHM 52
  
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