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Tristan und Isolde

Auf seiner Burg zu Tintajol herrschte König Marke über Kurnewale und England. Er war geliebt und geachtet von allen Bewohnern seines Landes, und viele hochgesinnte Ritter und schöne Damen scharten sich um seinen Thron. Unter ihnen war Tristan, des Königs Neffe. Seinen Vater Riwalin von Parmenie hatte König Morgan von Bretagne erschlagen, und seine Mutter Blancheflur, König Markes Schwester, war nach der Geburt des Knaben vor Gram gestorben. Weil es in Trauer geboren worden war, hatte das Kind den Namen Tristan erhalten. Riwalins Lehnsmann, der treue Marschall Rual, hatte sich seiner angenommen und ihm eine sorgfältige Erziehung gegeben. Später war Tristan nach mancherlei Irrfahrt zu seinem Oheim nach Tintajol gelangt und hatte an Markes Hof alle Herzen für sich gewonnen. Unübertrefflich war er in allen ritterlichen und höfischen Künsten, und als er, kaum den Knabenschuhen entwachsen, den Ritterschlag erhielt, wußte jeder im Lande, daß niemand solcher Ehre mehr wert sei als der jugendliche Tristan.

Bald darauf trat der junge Ritter vor König Marke und bat um Urlaub, um nach Bretagne zu ziehen und den Tod seines Vaters zu rächen.

Das geschah, und Tristan erwarb sich hohen Ruhm. Er erschlug Herrn Morgan, den Mörder seines Vaters, und gewann sein Land zurück, das er dem treuen Rual zu Lehen gab.

Als Tristan an Markes Hof zurückkehrte, fand er das ganze Land in Trauer. Morolt, der Schwager des Königs von Irland, war gekommen und hatte einen Tribut eingefordert, den König Marke von früher her schuldete. Dreißig schöne Knaben sollten als Geiseln gestellt werden. Da beschwor Tristan König Marke und seine Ratgeber, den Tribut zu verweigern und die endgültige Entscheidung einem Zweikampf zwischen ihm und Morolt anheimzugeben. Nach einigem Zögern stimmte Marke zu, und in dem Kampfe, der nun stattfand, siegte Tristan über den starken Morolt und tötete ihn. Indessen hatte auch Morolt seinem Gegner eine schwere Wunde an der Hüfte geschlagen, und bevor er starb, sagte er Tristan, daß sein Schwert vergiftet sei und die Wunde nur durch seine Schwester Isolde, die Königin von Irland, geheilt werden könne. Morolts Leiche wurde nach Irland gebracht, wo der Held tief betrauert wurde, besonders von seiner Schwester Isolde und ihrer jungen Tochter, die den Namen der Mutter trug.

In Morolts Wunde fand man einen Splitter aus Tristans Schwert. Den nahm die junge Isolde an sich und bewahrte ihn in einem Schrein. Der König aber erließ ein Gebot, nach dem jeder, der aus Kurnewale nach Irland komme, es mit dem Leben büßen müsse.

Auf Burg Tintajol aber lag der junge Tristan und siechte an seiner Wunde dahin. Kein Arzt vermochte ihm zu helfen. Darum faßte der todwunde Mann den Entschluß, die Königin Isolde aufzusuchen. Er ließ sich von seinen Getreuen nach Irland bringen und heimlich an Land setzen. Und da er sich als Spielmann ausgab, wurde er bei Hofe gut empfangen. Auch die Königin Isolde nahm ihn freundlich auf, und gern versprach sie, ihn zu heilen, da sie sein Saitenspiel liebte.

"Armer Spielmann", sagte sie, "von Gift bist du so wund. Doch du darfst gewiß sein, daß meine Hand dich heilen wird."

Da wurde Tristan so froh, daß er trotz aller Schmerzen das Saitenspiel ergriff. Die Königin lauschte ihm und rief ihre Tochter, die blonde Isolde, herbei. Da spielte und sang Tristan vor den schönen Frauen so wundersam, wie sie es noch nie in ihrem Leben gehört hatten.

Königin Isolde gab sich große Mühe, die Wunde des fremden Spielmanns, der sich Tantris nannte, zu heilen, und bald war Tristan durch ihre Kunst von seinem Siechtum genesen und gesund und stark wie je zuvor.

Die junge Isolde hatte diese Zeit gut genutzt; denn Tristan war ihr ein gar trefflicher Lehrmeister im Gesang und Saitenspiel gewesen.

Doch nun zog es den Genesenen in die Heimat zurück, zumal da er fürchten mußte, von einem der Mannen Morolts, die in Tintajol gewesen waren, erkannt zu werden. Er gab vor, er müsse wieder zu seiner geliebten Gattin, und nahm Urlaub von der Königin und der schönen Isolde.

Zu Tintajol in Kurnewale herrschte große Freude über Tristans Heilung, und der junge Held war von Herzen froh, daß er wieder am Hofe des Oheims weilen durfte.

König Marke liebte den Neffen und überhäufte ihn mit ritterlichen Ehren. Das erregte Neid bei manchen Großen seines Landes, und als das Gerücht umlief, König Marke werde den Neffen zu seinem Erben einsetzen, wurden Stimmen gegen ihn laut, die von Haß und Mißgunst zeugten.

Um dem drohenden Sturme zu entgehen, riet Tristan selbst dem König Marke, sich doch noch zu vermählen. Er empfahl dem Oheim die schöne junge Königstochter Isolde und erbot sich, die gefährliche Brautwerbung zu wagen.

König Marke zögerte recht lange, da er den Neffen nicht solcher schweren Gefahr aussetzen wollte; aber schließlich willigte er doch ein.

So schiffte sich Tristan nach Irland ein und ließ sich wieder heimlich an Land setzen. Diesmal gab er sich als Kaufmann aus und fand auch Aufnahme am Hofe.

Damals hauste in Irland ein Drache, der das Land so bedrohte, daß der König demjenigen die Hand seiner Tochter zu geben versprach, der das Untier erschlagen würde. Deshalb wagte Tristan heimlich den Kampf mit dem Drachen, besiegte das Untier nach schweren Gefahren und schnitt ihm die Zunge heraus, die er unter seinem Wams an seiner Brust verbarg. Dann suchte er sich ein Versteck, um von der Mühsal des Kampfes auszuruhen.

Das Gift der Drachenzunge begann jedoch zu wirken, und er versank in eine tiefe Ohnmacht.

Bald darauf kam ein anderer Ritter, der Truchseß des Königs, an die Stelle, wo Tristan den Drachen erschlagen hatte. Der wollte auch die schöne Isolde gewinnen und hieb und stach auf den Drachen ein, obgleich das Untier schon tot war. Dann suchte er lange nach dem Sieger, um den Entkräfteten zu töten, doch Tristan fand er nicht.

Trotzdem ritt der Truchseß stolz an seines Königs Hof und begehrte als Drachentöter den Siegespreis, die Hand der Königstochter.

Da war die schöne Isolde tief bekümmert, daß sie den anmaßenden Mann heiraten sollte. Die Mutter aber tröstete sie, da ihr ein Traum offenbart hatte, daß ein anderer den Drachen besiegt habe.

So ritt am nächsten Morgen die Königin mit ihrer Tochter und ihrer Nichte Brangäne und einem Knappen in den Wald, um den Drachentöter zu suchen. Sie fanden ihn bewußtlos in seinem Versteck. Die Mädchen hielten ihn für tot; doch die Königin erkannte, daß der unbekannte Ritter unter der Wirkung eines Zaubers stand, und sie fand und entfernte die Drachenzunge an seinem Leibe, so daß Tristan alsbald wieder zu sich kam.

Mit freudigem Erstaunen erkannten die Frauen in ihm ihren Spielmann wieder, und obwohl Tristan diesmal zugab, daß er aus Kurnewale stammte, sicherte ihm die edle Königin Schutz für Leben und Leib zu.

Die Frauen nahmen nun Tristan mit auf die Burg. Als der Truchseß wiederum die Hand der Königstochter zu fordern wagte, wurde sie ihm verweigert, und die Königin verkündete, daß der Drachentöter sich am dritten Tage dem Truchseß zum Kampfe stellen werde.

Indessen waren die Frauen treulich besorgt, den vom Kampf ermatteten Helden zu stärken.

Da fügte es der Zufall, daß die junge Isolde, während Tristan schlief, sein Schwert in die Hand nahm, und sie erschrak, weil sie eine Scharte entdeckte. Sie holte eilends den Splitter, den man in Morolts Wunde gefunden hatte, herbei, und siehe, er paßte genau.

Nun war der Besieger ihres geliebten Oheims in ihrer Hand, und sie empfand glühenden Haß gegen Tristan.

"Dieser ist Tristan, der Mörder deines Bruders'', rief sie der Mutter, die hereintrat, in wilder Erregung zu und hob den Arm, um den Schlafenden mit dem Schwerte zu durchbohren. Die Königin aber ermahnte sie, daß man Tristan Schutz für Leib und Leben zugesichert habe. Da ließ die schöne Isolde das Schwert fallen und brach in bittere Tränen aus.

Gütig redete ihr die Mutter zu und gab zu bedenken, daß Isolde, wenn Tristan tot wäre, dem Truchseß als Siegespreis verfallen sei.

Da verbarg die schöne Isolde ihren Haß, und als Tristan erwachte, ließen sich die beiden Frauen nichts anmerken und redeten freundlich mit ihm.

Nun berichtete der Held von der Botschaft, um deretwillen er nach Irland gekommen war.

"Seit meiner Rückkehr aus Irland habe ich zu Tintajol das Lob der blonden Isolde gesungen, und ich bin hierher gesandt, um für meinen Herrn, König Marke, um die Hand der Königstochter zu freien.''

Und auf den Rat der Mutter nahm Isolde die Werbung an.

Der Zweikampf fand nicht mehr statt, weil der Truchseß sich aus Feigheit zurückzog. Da gab auch der König seine Einwilligung zur Vermählung seiner Tochter mit König Marke, und die blonde Isolde zog zu Schiff, von Tristan und ihrer Freundin Brangäne begleitet, in König Markes Land.

Die Königin aber, die das Glück ihrer Tochter für alle Zeiten sichern wollte, hatte ihrer Nichte Brangäne einen Liebestrank anvertraut, den diese Marke und Isolde nach vollzogener Vermählung zu trinken geben sollte.

"Niemand darf zugleich mit ihnen beiden von dem Minnetrank genießen", hatte sie das Mädchen ermahnt.

Eines Tages, während der Überfahrt, saß Tristan in Isoldes Schiffsgemach und erzählte ihr von König Marke und dem Hof zu Tintajol. Da geschah es, daß Tristan nach einem Trunk begehrte, und da Brangäne nicht im Gemache anwesend war, bot eine Dienerin ihm das Gefäß mit dem Liebestrank, den sie für Wein hielt. Tristan reichte den Becher in ritterlicher Weise zuerst der Königstochter, die zaudernd trank, dann genoß auch Tristan davon.

Als Brangäne dazukam und den Becher geleert fand, brach sie in bittere Klagen aus. Was half es, daß sie das Gefäß ergriff und ins Meer schleuderte! Schon spürten Tristan und Isolde die Wirkung des Zaubers, und beide fühlten, daß sie zusammen nur ein Herz besäßen, und wagten doch aus Scham und Zweifel nicht, sich die seltsame Wandlung einzugestehen.

Wohl versuchte Tristan, den schweren Kampf zu bestehen, um der Treue, der Pflicht und der Ehre zu genügen, aber die Liebe zu Isolde brannte heiß in seinem Herzen. Blickte er ihr in die Augen, so waren alle festen Vorsätze dahin.

Nicht anders erging es Isolde. Auch sie lag in Liebesbanden. Bald vermochte sie an nichts anderes mehr zu denken als an Tristan.

In dem quälenden Widerstreit zwischen Verlangen und Pflichtgefühl siegte die Liebe, und noch ehe Isolde in Markes Land kam, hatte sie dem zukünftigen Gatten die Treue gebrochen.

Brangäne erzählte den beiden von dem Zaubertrank und versprach ihnen ihre Hilfe und Verschwiegenheit.

Als das Schiff sich der Küste näherte, sandte Tristan Boten nach Tintajol, und mit großem Gepränge ließ König Marke seine junge Braut in die Stadt geleiten. Gar bald vermählte er sich mit ihr.

Doch der Zauber, dem Tristan und Isolde auf dem Schiffe verfallen waren, erlosch nicht. Nie wieder konnten die Liebenden voneinander lassen, und immer wieder mußte Isolde König Marke die Treue brechen.

Keinen andern Gedanken hegten die Liebenden als den, wie sie hämischem Argwohn entgehen und Isoldes Gatten täuschen konnten.

Zunächst gelang es ihnen mit Brangänes Hilfe, doch dann schöpfte Marke Verdacht. Marjodo, der Truchseß, hatte das Liebespaar einmal überrascht. Der ging zu König Marke und verdächtigte die beiden Liebenden.

"Es geht um deine Ehre", sagte der Truchseß, den die Eifersucht um Isolde, die Blonde, verzehrte, und Marke ließ sich, von Argwohn gequält, überreden, seinem Weibe eine Falle zu stellen.

Die wachsame Brangäne war jedoch Marjodos Treiben auf die Spur gekommen und warnte ihre Herrin. Deshalb zeigte sich Isolde, als König Marke ihr pIötzlich ankündigte, daß er sie einer Pilgerfahrt wegen für lange Zeit verlassen müsse, tief bekümmert. Der König, der ihr Tristans Gesellschaft während seiner Abwesenheit empfahl, fühlte sich von Argwohn und Eifersucht befreit, als sein Weib Abscheu gegen Tristan heuchelte, und in seinem Herzen bat Marke der blonden Isolde das Unrecht ab, das er ihr mit seinem Verdacht angetan zu haben meinte.

Marjodo, dem Truchseß, hielt er triumphierend die Treue seines Weibes vor. Der aber ließ sich nicht täuschen und erbot sich mit spöttischem Lächeln, die Liebenden zu überlisten. Marke sollte Tristan von der Königin trennen und über Land schicken; dann werde er sehen, was geschähe. Blutenden Herzens befolgte Marke den Rat des Truchseß.

Da litten Tristan und Isolde die brennenden Qualen der Trennung und Sehnsucht. Brangäne aber ersann eine kluge List, wie sie ihrer Herrin und Tristan helfen könnte.

Durch den Garten von Tintajol floß ein klarer Bach, darüber hatte man einen Turm gebaut, in dem jetzt Isolde zu ihrer Erholung auf Brangänes Rat Wohnung nahm. Da ließ Tristan Rindenstücke den Bach hinabtreiben, an denen Isolde erkennen konnte, bei welchen Bäumen des Gartens sie der Geliebte zur Nacht erwartete, bei den Pinien, im Ulmenhain oder bei den Eichen.

So trafen sich die Liebenden jede Nacht im Garten der Burg. Der böse Zwerg Melot, den Marjodo beauftragt hatte,Tristans Weg zu verfolgen, konnte sich jedoch wie ein Eichhörnchen von Ast zu Ast schwingen und entdeckte das Geheimnis der Rindenstücke und offenbarte es König Marke.

Da sahen sich die Liebenden im Ulmenhain zu mitternächtiger Stunde plötzlich von den Mannen König Markes umstellt, und das Geheimnis ihrer Liebe wurde enthüllt.

Das erbitterte Volk und alle Barone des Landes forderten ein Gottesgericht, wie es auf einer Insel im Meer stattzufinden pflegte. Dort sollte Isolde ihre Unschuld erweisen.

Heimlich gab Isolde durch die treue Brangäne ihrem Geliebten Nachricht.

Als die Königin in ihrem Schifflein nahe der Insel landete und von Rittern ans Ufer getragen werden sollte, lehnte sie es ab, sich von ihnen, die sie so hart beschuldigten, berühren zu lassen.

Am Ufer stand, in seine Kutte gehüllt, ein fremder Pilger. Der wurde herbeigerufen, und man befahl ihm, die Königin durch das seichte Wasser an den Strand zu tragen. Der Fremde folgte willig der Aufforderung, nahm die schöne Isolde in seine Arme und trug sie durch das Wasser an Land. Isolde, die in dem Pilgersmann längst den Geliebten erkannt hatte, raunte ihm ins Ohr, er solle am Ufer straucheln, so daß sie beide zu Fall kämen. Das geschah, und so lag die schöne Königin für einen Augenblick an der Seite des Pilgers in seinen Armen. Die Ritter wollten den Pilgrim für seine Unachtsamkeit mit Ruten züchtigen; doch die Königin bat für ihn um Gnade. Da ließen sie von ihm ab.

Als man Isolde auf dem Gerichtstag zwang, ihre Unschuld zu beschwören, bekräftigte sie mit einem Eid, daß sie nie in eines anderen Mannes Armen gelegen habe als in denen ihres Gemahls und des Pilgers, der sie an Land getragen habe.

Darauf wurde ihr befohlen, die Hand auf das glühende Eisen zu legen, und siehe, ihre Haut blieb unverbrannt.

So war die Wahrheit von Isoldes Worten vor aller Augen bewiesen, und König Marke nahm sein Weib wieder in Gnaden auf.

Auf der Burg sah Tristan auch Kaedins schöne Schwester, Isolde mit den weißen Händen. Da trat das Bild der fernen Geliebten ihm so lebendig vor die Seele, daß er sich um des gleichen Namens willen mit Isolde Weißhand vermählte, aber seine Sehnsucht nach der blonden Isolde wurde nicht gestillt.

Tristan begleitete von nun an seinen Schwager Kaedin auf dessen Kriegszügen. Eines Tages weilten sie auf einer Burg und mißbrauchten in der Abwesenheit des Ritters das Gastrecht, weil Kaedin sich um die Liebe der Burgherrin bewarb. Der Ritter, der sich betrogen fühlte, verfolgte sie nach seiner Rückkehr, stellte sie zum Kampfe und rannte Kaedin den Speer in den Leib, daß er tot vom Pferde sank. Dafür erschlug ihn Tristan. Aber die Übermacht der Feinde war zu groß, und Tristan erhielt eine schwere Wunde, so daß er nur mit Mühe den Verfolgern entkam.

Isolde Weißhand pflegte den sehr Wunden, der mit dem Tode rang. Kein Arzt und keine Arzenei vermochten ihm zu helfen. Da sandte Tristan einen getreuen Boten an König Markes Hof und ließ die blonde Isolde bitten, seine Todesnot zu lindern. Der Bote brachte die traurige Kunde nach Tintajol; Isolde zögerte keinen Augenblick und bestieg sofort das Schiff.

Indessen wurde der todwunde Tristan von Isolde Weißhand gepflegt. Sie grämte sich, daß Tristan die blonde Isolde rufen ließ, und oft mußte sie auf Tristans Bitte ans Fenster treten, um nach dem weißen Segel, das Isoldes Ankunft künden sollte, Ausschau zu halten.

Als sie das Schiff endlich kommen sah und das weiße Segel in der Sonne glänzte, verkündete sie es Tristan; aber von dem Segel sagte sie nichts. "Liebe Isolde, sage an, wie ist das Segel?" fragte Tristan.

Isolde Weißhand sprach in dieser Not nicht die Wahrheit und antwortete: "Ein schwarzes Segel sah ich."

Da brach der Tod Tristan das Herz. Vergebens beteuerte Isolde Weißhand in ihrem Schmerz, daß sie nicht wahr gesprochen habe.

Tristan lag tot und hörte sie nicht mehr.

Als Isolde, die Blonde, und ihre Begleiter ans Ufer gelangt waren, vernahmen sie große Klage in der Stadt und erfuhren den Grund.

Da stand die schöne Isolde stumm vor Schmerz und sank ohnmächtig nieder. Tristans Tod hatte auch ihr die Lebenskraft genommen.

Als sie wieder zu sich kam, hatte sie nur den Wunsch, den Toten zu sehen. So gingen sie alle ins Münster, wo Tristan auf der Bahre lag. Sie nahm das Tuch von seinem Antlitz, warf sich an der Bahre nieder und küßte es.

So lag sie Mund an Mund mit dem toten Tristan; da brach auch ihr das Herz, und sie starb den Minnetod.

Die Körper der Liebenden wurden einbalsamiert und in Särge gelegt, und Isolde Weißhands Vater, Herzog Jovelin, dachte den zweien ein würdiges Begräbnis zu geben.

Inzwischen aber hatte König Marke den Tod der Liebenden erfahren und war zu Schiff nach Burg Karke gekommen.

Als er von der treuen Brangäne vernommen hatte, wie alles geschehen war, von dem Trank der Minne, der die Herzen bezaubert hatte, daß sie nicht mehr voneinander lassen konnten, da brach er in laute Klage aus und rief: "O weh, Tristan, hättest du von Anfang an alles bekannt, ich hätte dir Isolde zur Frau gegeben. So wäre ich rein von Sündenschuld geblieben, und ihr wäret gerettet."

Marke führte die Leichen auf seinem Schiff mit sich nach Tintajol. Dort lag das ganze Land in Trauer. Der König ließ zwei marmorne Särge anfertigen und die Toten darein legen. Im Burggarten von Tintajol wurden sie begraben.

König Marke gab sein Reich einem seiner Barone und ging ins Kloster.

Er hatte aber auf Tristans Grab einen Rosenstock pflanzen lassen und auf Isoldes eine Weinrebe. Als Rebe und Rose wuchsen, neigte sich über den Gräbern jeder Zweig dem andern zu, und dicht ineinander verflochten und verwachsen waren Rose und Rebe.


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