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Der Drachentöter 300

Märchentyp AT: 300AB; cf. 301, 303
Grimm KHM:


Ein Junge erhält oder erwirbt durch Tausch von einem Mann ein siegreiches Schwert und in der Regel drei Hunde. Er erfährt, dass eine Prinzessin, manchmal auch drei, einem Gelübde zufolge an einen mehrköpfigen Wasserdrachen (Seeungeheuer, Wassergeist, Riesen etc.), der in bestimmten Zeitabständen seinen Tribut verlangt, ausgeliefert werden soll. Der Junge beschliesst, mit Hilfe seiner Hunde den Versuch zu unternehmen, das Tier zu erlegen. Während man auf sein Erscheinen wartet, liegt er gemächlich mit dem Kopf im Schoss der Prinzessin und wird von ihr gelaust. Sie flicht dabei manchmal einen Ring oder eine Seidenschnur in sein Haar. Sobald das Tier zu hören ist, springt er auf und tötet es mit Hilfe seiner Hunde, obwohl die vielen Köpfe des Tieres oftmals wieder nachwachsen, nachdem sie abgeschlagen wurden. Der Held zieht sich danach zurück, nimmt jedoch die Zunge (die Zähne etc.) des Tieres als Beweis seiner Tat mit sich. Ein Rivale tritt auf und behauptet, der Befreier zu sein, wird aber seiner Falschheit gerade dann, wenn er im Begriffe ist, sich mit der Prinzessin zu verheiraten, dadurch überführt, dass der Junge zuerst mit seinen Hunden Botschaft sendet und sich dann selbst einfindet und die Zunge (die Zähne, den Ring etc.) vorweist. Dadurch gewinnt der Junge endgültig die Hand der Prinzessin. Wenn es sich um drei Prinzessinnen handelt, wird der Kampf dreimal wiederholt, und der Held heiratet die jüngste Prinzessin.


Anmerkung

Im alten Ägypten war die Vorstellung von Drachen wenig verbreitet. Dort traten hingegen in Mythen und Märchen teils das im Nil häufige Krokodil, teils die sogenannte "ewige Schlange" mit Menschenkopf auf, während der eigentliche Drache ein Zwischending von Pythonschlange und Krokodil ist. Später stellte man sich den Drachen ausser mit einem schlangenähnlichen Schwanz noch mit Flügeln vor. Der Drache der Babylonier und die Urmutter Tiamat wurden jedoch auch als geflügelte Löwen dargestellt. Eine der ältesten Erzählungen von Drachenkämpfen ist gerade die vom Kampf des Marduk zur Zeit der Frühlings-Tag-und-Nachtgleiche gegen diese Tiamat, die man sich als das Oberhaupt der bösen Mächte vorstellte. Dieser Kampf symbolisiert die Wiedergeburt der Schöpfung. Die versengende Sonne war im Orient der Feind der Menschen, und die Gegenwart des wasserschluckenden Drachen, d.h. der "Meerestiefe" selbst, war gleichbedeutend mit einer verheerenden Trockenheit für die ganze Umgebung. Im Ras Schamra, in dem die Vegetationsmythen zu einem Epos verflochten wurden, kämpften Baal und Baal-Alein zur Zeit des Sommers, "als die Oliven versengt wurden", gegen Mot, der den siebenköpfigen Drachen neben sich hatte, ein Gegenstück zum Leviathan, dessen Gegner Jahve selbst ist. Auch ein Gott der Hethiter kämpfte gegen die grosse Schlange Illuyanka.

Im Avesta der Perser tötet der Held Thraetaona den Drachen Azhi Dahaka oder den Drachen mit den drei Köpfen, den drei Mäulern, den sechs Augen und den tausend Sinnen. Eine ähnliche Darstellung findet sich auch in den Schriften der Inder über Tritas und Indras Kämpfe mit Ahi oder Vrtra, dem Symbol der Trockenheit. Trita und Thraetaone sind verwandte Wörter, ebenso wie Ahi und Azhi, die beide "Schlange" bedeuten (lat. anguis). Das Wort Dahaka bedeutet "der Verderbenbringende" und kehrt in Firdausis Königsbuch (ca. 1000 n.u.Z.) in der Form Dhohhak wieder. Dies ist nämlich der Name des "Menschendrachen", den Firdausi durch seinen Helden Feridun töten lässt. Im Namen Feridun erkennen wir den Namen Thraetaona wieder, und wie der letztere durch seinen Kampf zwei Frauen befreite, so befreite Feridun zwei Schwestern. Diese beiden Frauenpaare haben gleichklingende Namen. Wir haben demnach eine lange, zusammenhängende Traditionsreihe mit Drachenkämpfen und der Befreiung von Frauen.

Wir begegnen dem Drachen auch im griechischen Sprachgebiet, u.a. in der Argonautensage. Doch schildern uns solche Mythen wie die von Kadmos, Herkules, Apoll und Perseus mehr oder weniger orientalisch gefärbte Drachenkämpfe. Kadmos kam auch von Phönizien, und sein Drache bewachte Thebens Brunnen. Der Mythos von Perseus erreichte Griechenland zwischen dem 7. und 5. Jahrhundert v.u.Z. Zuerst verbreitete sich das Motiv vom Abschlagen des Medusenhauptes mit dem Kampf des Gilgamesch gegen Humbaba als Vorbild. Dazu kam das Motiv, wie ein König den Bitten seines Volkes nachgibt und seine Tochter einem Meeresungeheuer ausliefert. Die Königstochter wird dann von Perseus gerettet, der das Tier erlegt und sie als Belohnung zur Gemahlin erhält.

Die Drachenkämpfe gehören jedoch nicht nur zu den Märchen und Sagen, sondern auch zu den Bräuchen und zum Volksglauben. Im Orient gibt es viele Beispiele dafür, dass man den Wassergottheiten Menschen opferte. Ähnliche Ereignisse sind von Japan bis Irland aufgezeichnet worden. Eine Version des Themas, die aus dem Orient stammt, ist die Legende von St. Georg, welche am ausführlichsten von Jacobus de Voragine in der Legenda aurea am Ende des 13. Jahrhunderts geschildert wird. St. Georg hat einen griechischen Namen und soll ein Prinz aus Kleinasien gewesen sein. Das eingeschobene Bekehrungsmotiv zeigt jedoch, dass die Legende jünger ist als das Märchen und dass letzteres in Wirklichkeit das Vorbild der Legende ist.

Im Märchen finden wir einen Zug, der in der Legende fehlt, aber auf altgriechischem Sprachgebiet zu finden ist, nämlich den Brauch, dem Tier als Beweis für die ausgeführte Tat die Zunge oder dgl. abzuschneiden. Wir treffen dies u.a. bei Apollonios von Rhodos an (3. Jahrhundert v.u.Z.), der erzählt, wie Alkathoos dem Löwen, den er getötet hatte, um die Tochter des Königs von Megara zu befreien, die Zunge abschnitt. Dieser Zug ist auch den Persern bekannt, denn Firdausi lässt Guschtasp einem von ihm erlegten Drachen die Zähne ausreissen. Das Motiv ist bei ihm von dem Märchen vom Goldhaarigen (314) umrahmt. Dasselbe Motiv finden wir in Europa in den Tristan-, Cuchullin- und Wolfdietrichsagen. Die Vorstellung von Kämpfen mit Drachen und vor allem mit schatzhütenden Drachen erscheint auch nördlich der Alpen, als sich der Stoff der Siegfriedsage herauszubilden begann. In England zeugt Sigmunds Kampf mit dem Drachen im Beowulflied ebenfalls davon.

Mit solchen Strömungen erreichte das Märchen vom Drachentöter romanisches Sprachgebiet. In Italien scheint auch das Motiv von den drei Hunden eingeflossen zu sein. Manchmal lässt das Märchen den Helden sterben, damit die Hunde Gelegenheit haben, ihn nach bekanntem Muster (u.a. 612 Ein Tier erweckt den toten Gefährten zum Leben) wiederzuerwecken. Diesen Zug finden wir am frühesten bei Straparola (um 1550), wo er jedoch vornehmlich im Märchen 315 wurzelt.

Was die nordeuropäischen Varianten betrifft, so ist zu bemerken, dass dort so wie in Osteuropa drei Drachen und drei Prinzessinnen ein häufiger Zug sind. Die Märchen werden oft von dem Märchen 301 Der Bärensohn beeinflusst, und oft fallen die Hunde weg. Das Lausen kommt im Norden häufig vor, aber man findet es auch im Süden, wie z.B. in Griechenland. Es war früher gleichbedeutend mit dem Jawort eines jungen Mädchens.

Die nachwachsenden Köpfe finden wir schon bei Basile (gest. 1632), aber als selbständiges Motiv finden wir sie teils in Herakles’ Kampf mit der Lernäischen Hydra, teils, wie in der hellenistischen Zeit in Ägypten, zur ewigen Schlange gehörend sowie später im Kathasaritsagara (ca. 1000 n.u.Z.) in einer dort vorkommenden Variante des Batamärchens aus Kaschmir, und im deutschen Heldengedicht von Sigenot (13. Jahrhundert).


Literatur

Brommer, F.: Die Königstochter und das Ungeheuer. Marburg 1955.
Derungs, K.: Struktur des Zaubermärchens II. Transformation und narrative Formen. Hildesheim, Zürich, New York 1994.
Dukova, U.: Das Bild des Drachen im bulgarischen Märchen. In: Fabula 11, 1970, p. 209-252.
Göttner-Abendroth, H.: Die Göttin und ihr Heros. München 1993.
Hartland, E.S.: The legend of Perseus. London 1894-1896.
Hierse, W.: Das Ausschneiden der Drachenzunge und der Roman von Tristan. Hannover 1969.
Lange, W.: Der Drachenkampf. Kiel 1939.
Ploss, E.: Siegfried-Sigurd, der Drachenkämpfer. Köln, Graz 1966.
Propp, V.J.: Die historischen Wurzeln des Zaubermärchens. München 1987.
Röhrich, L.: Drache, Drachenkampf, Drachentöter. In: EM 3, 1981, p. 787-820.
Siecke, E.: Drachenkämpfe. Leipzig 1907.


Märchen

>> Die beiden Geschwister und die drei Hunde


Hinweise

 


Variantenverzeichnis

>> Märchen-Suchdienst

Die drei Hunde. Bechstein/Deutschland 49
Der Wandergeselle. Bechstein/Deutschland 19
Die Spanklauber. Schier/Schweden 23
Die Querpfeife. Colshorn/Deutschland 43
Geschwind wie der Wind, Packan, Eisenfest. Zingerle/Tirol 1,8
Elena die Wunderschöne. Levin/Russland 1
Dragan Cenusa. Karlinger/Rumänien 16


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